Legenden um das mongolische Nomadenleben

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Jurte in den Hochlagen des Changai

Um den mongolischen Nomaden und seine Lebensweise ranken sich in Europa zahlreiche Legenden und man pflegt auch beharrlich Mythen. Selbst Journalisten schreiben nicht selten, eben erst bei dem Kanzlerinnenbesuch konnte man das beobachten, Dinge, die aus ihrer Vorstellung entspringen, aber weniger der Recherche oder gar eigener Anschauung.

Allen voran steht die Vorstellung der umherziehenden, nichtsesshaften Sippe, die heute hier, morgen da ihre Jurte aufschlägt. Die Realität sieht deutlich anders aus. Jeder Viehzüchter in der Mongolei hat bestimmte Weidegebiete, die er nutzen darf. Je nach Vegetation sind diese Weidegründe, in denen er sein Vieh weidet größer oder kleinräumiger. Im Norden, bei genügend Grün und Zugang zu Wasser kann es sein, dass die Herde wochenlang an der gleichen Stelle genügend Futter findet, dann bleibt natürlich auch die Jurte dort stehen. Was man aber immer antrifft, ist ein spezieller geschützter Lagerplatz für den Winter und ein Sommerlager. Was dazwischen passiert ist sehr unterschiedlich, in trockenen Regionen können das 5 bis 10 unterschiedliche Standorte sein, wenns günstiger ist auch nur einer oder zwei. Auch ist der Aktionsradius recht unterschiedlich, von drei, vier Kilometern bis vielleicht 50, aber immer wird der Viehzüchter die Orte aufsuchen, wo er schon immer seine Jurte aufgebaut hat. Ein Viehzüchter in der Gebirgswaldsteppe des Changai oder im Norden des Landes wird also kaum größere Wanderungen unternehmen, sein Standort ist auch ziemlich genau bekannt, die Verwaltung und auch die Nachbarn wissen natürlich wo er ist, er hat auch sozusagen eine amtliche Adresse, natürlich nicht mit Straßennamen und Hausnummer, aber der Kreis und die Gegend wo er lebt sind bekannt. Er ist dort registriert, hat einen Pass und alle Rechte und Pflichten wie ein Bürger in der Hauptstadt. Ich habe Familien getroffen, die wohnten im Sommer am Seeufer und als ich nach dem Winterlager fragte, zeigten sie auf eine Holzhütte am nahen Bergfuß, hier waren sie geboren und hier würden sie vermutlich auch bis zum Lebensende bleiben. Die meisten Deutschen sind mehr Nomade als diese Leute.

Eine weitere Legende sind die Großfamilien oder gar Clans, die in den Köpfen der Menschen hierzulande die Steppe bevölkern. Ein Ail, also die kleinste Einheit der Viehzüchter kann aus einer manchmal zwei oder drei, aber kaum mehr Jurten bestehen. Es sind in der Regel, die Eltern mit den kleineren Kindern, eventuell noch die Großeltern, die da zusammenwohnen. Sollten sich mehr als zwei Jurten zusammenfinden ist oft eher eine fremde Familie dabei, als direkte Verwandte. Auch wenn eine Viehzüchterin fünf oder sechs Kinder hat, es ist nicht sehr wahrscheinlich, dass die dann, einmal erwachsen, auch alle zusammen wohnen. Es gibt auch keinen sonderlich festen Zusammenhalt innerhalb der Verwandtschaft, insbesondere keine wirtschaftlichen Verknüpfungen, jeder macht eigentlich sein Ding. Das merkt man dann auch deutlich in der Stadtbevölkerung, ist jemand zu Vermögen gekommen und hat eine Firma oder sonst wie Macht und Einfluss, dann wird er sich eher einen verlässlichen Geschäftspartner suchen, als beispielweise die Geschwister oder gar noch entferntere Verwandte mit ins Boot zu nehmen.                

Die wohl unwahrste Vorstellung ist die von einem mächtigen männlichen Familienoberhaupt, der die Geschicke in der Jurte bestimmt. Die Frauen haben in der Jurte eindeutig das Sagen. Sie verwalten das Geld und Treffen die wichtigen Entscheidungen. Dem Gast wird in der Jurte zwar eine Vorstellung geboten, bei der die Frau den Mann bedient und der Anschein erweckt wird es handelte sich um eine absolute Autorität, aber das kann man getrost als Inszenierung betrachten, der Mann hat seine Freiheiten und kleine Privilegien, aber zu sagen hat er eigentlich nicht viel.       

Der mongolische Viehzüchter ist auch kein zivilisationsverachtender Weltfremdling. Nahezu alle Viehzüchter haben in ihrer Kindheit mal eine Schule in einer Siedlung besucht, oft dann auch in einem Internat gelebt. Sie sehen für ihr Leben gern TV, sofern der Empfang das hergibt und träumen alle davon ein Auto zu besitzen, zumindest die Männer. Sehr selten ist es auch der in der westlichen Vorstellung lebende Naturmensch, dem der Einklang mit derselben über alles geht. Er versucht natürlich traditionell die Ressourcen so nutzen, dass er sich nicht selbst die Existenz abgräbt, aber das wars oft auch schon. Der Müll fliegt in die Landschaft, Hauptsache man stolpert nicht selbst drüber, wenn Kaschmirwolle hoch im Kurs steht, dann werden eben wider besseren Wissens Ziegen statt Schafe gehalten und wenn ein paar Bäume in der Nähe sind, dann kommen die in den Ofen anstatt traditionell der Dung, das macht schneller warm und ist einfacher zu sammeln.

Nun haben meine Ausführungen vielleicht den einen oder anderen der bald mal in die Mongolei fahren wollte desillusioniert, aber es ist trotzdem interessant mal in einer Jurte vorbeizuschauen und mit den Leuten reden, gerade weil sie eben doch so unexotisch sind.  Man trifft in der Regel ganz coole Leute, die es schaffen unter extremsten Bedingungen zu leben, bei denen jeder deutsche Aussteiger nach ein paar Tagen alles hinschmeißen würde.                 

3 Responses to “Legenden um das mongolische Nomadenleben”

  1. Michael sagt:

    Hallo Jens,

    bislang haben mir alle Blogeinträge von dir sehr gut gefallen, du beschreibst ein realistisches Bild der Mongolei.

    Auch dieser Beitrag hier ist wieder sehr gut gelungen.
    Ich möchte dir nur in folgendem Punkt widersprechen: „Es gibt auch keinen sonderlich festen Zusammenhalt innerhalb der Verwandtschaft, insbesondere keine wirtschaftlichen Verknüpfungen, jeder macht eigentlich sein Ding.“
    Bislang habe ich immer die Erfahrung gemacht, dass die Familie sehr wohl sehr gut zusammenhält.
    Da kommt es sehr oft vor, dass jemand etwas Geld verdient und dieses sofort zur Hilfe für die Geschwister, Eltern, Neffen oder Nichten einsetzt.
    Falls alle Familienangehörigen ein gutes Einkommen haben, dann ist es natürlich nicht erforderlich.
    Aber welche normale Familie in der Mongolei lebt schon in so einer komfortablen Situation…?!

    Da fällt mir auch schon ein neues Thema für einen deiner nächsten Blogeinträge ein: „Schulden – Der Alltag vieler Mongolen“.
    Darin könntest du über das ständige Aufnehmen neuer Schulden (bei Banken, Verwandten oder Bekannten) und das Zurückbezahlen alter Schulden berichten.
    Im Grunde genommen schlagen sich viele Menschen in der Mongolei genau so durch wie die meisten Staaten der Welt.
    Sie nehmen neue Schulden auf um alte zurück zu bezahlen oder einfach um wieder besser über die Runden zu kommen.
    Das Leben ist einfach verdammt hart für die meisten Leute und ohne solche „Tricksereien“ hätten sie keine Chance.

    Ich wünsche dir ein geruhsames Wochenende!

    Viele Grüße

    Michael

  2. Michael sagt:

    Ergänzung:
    Bei Familien mit mobilen Viehzüchtern und Stadtbewohnern gibt es übrigens häufiger mal „Lieferungen“ von Fleisch und Milchprodukten für die städtische Verwandtschaft.

  3. admin sagt:

    Hallo Michael,

    ich würde das aus meiner Beobachtung so beschreiben, man unterstützt sich in der Familie nicht mehr und nicht weniger, als man das in einer deustchen Familie auch tun würde. In der hiesigen Vorstellung erwartet man aber von so einer Gesellschaft eigentlich etwas anderes, also was wie den zentralasiatischen Republiken, Familienclans, wo noch der Neffe in der Firma vom Onkel unterkommt, wo der Minister die ganze Familie mit Jobs versorgt usw..
    Bei der Mittelschicht in UB habe ich selbst Fälle gesehen, wo Geschwister ein paar Jahre in einem Geschäft zusammengearbeitet haben, was eigentlich recht selten ist und sich dann wirklich über Gericht geschäftlich getrennt haben. Oder es gibt Fälle die ich kenne, wo bei Geschwistern einer eine wirklich erfolreiches Geschäft betreibt, im Lexus fährt, ein Luxushaus und eine Stadtwohnung hat und der andere sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser hält. Also wie die Geschichte von Schröder und seinem Hartz IV Bruder. Das erwartet man eigentlich von solchen Gesellschaften wie in der Mongolei nicht. Jeder hier denkt, reiche Sippe, arme Sippe und dann gibt es ein allmächtiges Oberhaupt, dem alle dienen und der die Verwandtschaft schützt. Den Fall den Du schilderst gibt es sicher auch, hängt wahrscheinlich auch sehr von den Personen ab und ist sicher in der unteren Mittelschicht eher zu finden, also bei Leuten die immer gerade so über die Runden kommen und da funktioniert das nach dem Grundsatz ich borge dir heute was, morgen borgst du mir was, aber das gibt es genauso unter Freunden, die borgen sich auch alle Nasen lang was aber meist gegenseitig.

    Ich sehe das auch immer als Vergleich zur Großfamilie und die gibt es in der Mongolei meiner Meinung nach so nicht.

    Viele Grüße, Jens

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