Archive for November, 2011

Die mongolische Demokratie

Mittwoch, November 30th, 2011

 demokratie-510.jpg

Das Regierungsgebäude in Ulaanbaatar

Im Zuge des Besuches der Kanzlerin in Ulaanbaatar konnte man es allenthalben Lesen, die Mongolei wird im Westen bezüglich Ihrer Demokratie häufig gelobt. Was ist die mongolische Demokratie eigentlich? Oder wie demokratisch ist dieses System. Wenn man mal die aktuelle Situation mit anderen Staaten der Region vergleicht, also China, den ehemaligen Sowjetrepubliken oder Russland, dann ist natürlich die mongolische Gesellschaft geradezu eine Musterdemokratie aber trotzdem funktioniert es im politischen Alltag zumindest ganz anders als zum Beispiel in Deutschland.

Wenn man unter einer demokratischen Gesellschaft zunächst mal freiheitliche Rechte versteht, also Meinungsfreiheit, die Freiheit sich politisch betätigen zu können, Pressefreiheit oder auch die Wahrung von Bürgerrechten, dann ist die Mongolei kaum zu unterscheiden von westeuropäischen Staaten. Es gibt eine Unzahl von Parteien und politischen Bewegungen, es wird ewig über Themen debattiert, jeder der sich dazu berufen fühlt kann seine Meinungsäußerungen unbeschadet in die Öffentlichkeit bringen, selbst wenn es bis zu Verleumdungen, Unterstellungen oder Beleidigungen geht passiert in der Regel nichts.

Das Recht auf Demonstrationen ist sowohl im Gesetz als auch in der Praxis jederzeit gewahrt und die Mongolen haben mit ihren Protestjurten auf dem Suche Baatar Platz möglicherweise das Vorbild geschaffen, für die späteren Zeltplatzdemos auf allen möglichen Plätzen dieser Erde, von der Ukraine bis nach Nordafrika und nun Occupy, zumindest waren es die ersten, die das Innenstadtcamping als Protestform kultiviert haben.

Das Recht auf freie Wahlen wird eigentlich ziemlich sauber umgesetzt, wenn auch die Verlierer manchmal das Gegenteil behaupten, eine größere Wahlmanipulation wurde noch nie bewiesen und ist auch nicht sehr wahrscheinlich.  

Im Parlament selbst funktioniert die Demokratie eigentlich auch ganz gut, denn im Gegensatz zu Deutschland hat man hier bei der Abstimmung nicht mal diesen sklavischen Fraktionszwang und so mancher Politiker vertritt durchaus mal eine andere Meinung als sein Parteichef, wirklich wohltuend wenn man mal an den deutschen Bundestag denkt, wo Entscheidungen ja nur noch abgenickt werden. 

Was ist nun der Grund, warum man als Beobachter in Ulaanbaatar doch nicht so zufrieden sein kann mit der Demokratie? Es sind einfach immer die gleichen Leute, die politische Ämter besetzen und es sind immer auch Leute mit sehr eigenen wirtschaftlichen Interessen, Unternehmer, Geschäftemacher, Vermögende und es sind nicht unbedingt die edelsten Charaktere, die da auf den Parlamentsbänken sitzen. An dieser Situation wird sich wohl auch in Zukunft wenig ändern, denn es fehlen zwei wichtige Dinge zur lebendigen Demokratie. Das sind zunächst die   Politiker, die frei von eigenen wirtschaftlichen Interessen arbeiten und entscheiden können. Schon die Parteien verfügen kaum über solche Art Berufspolitiker.  Ein paar Parteiangestellte werden von der Partei mehr schlecht als recht bezahlt, um die organisatorische Arbeit zu machen, die wenigen Spitzenpolitiker verdienen ihr Geld nicht bei der Partei. Die Rollen sind klar verteilt, Parteiarbeiter auf der einen und Prominente auf der anderen Seite. Der Wahlkampf eines Kandidaten zur Parlamentswahl wird auch immer von diesem privat finanziert, im Gegenteil bei den Exkommunisten musste man bei der letzten Wahl sogar ein Startgeld an die Partei bezahlen um kandidieren zu dürfen. Dieses System stellt praktisch sicher, dass immer nur die Kader mit hohen privaten Vermögen auch wieder den Weg ins Parlament finden können. Persönliche Fähigkeiten oder gar Charaktereigenschaften spielen bei dieser Auswahl überhaupt keine Rolle. Sofort stellt sich dann noch die Frage, warum will dann jemand, der Firmen und privates Vermögen besitzt überhaupt in ein Parlament, wo er im Monat soviel verdient, wie er sonst an manchem auf einmal Tag ausgibt? Ganz paradox wird die Betrachtung, wenn man berücksichtigt, dass ihn der Wahlkampf die üblichen einhunderttausend bis eine Millionen USD kostet und das ungefähr das zwanzigfache von dem ist, was er in seiner Parlamentsarbeit in den vier Jahren verdienen wird. Die Erklärung ist ebenso simpel, wie pervers, er geht davon aus, dass er seinen Einsatz für Plakate, Helfer, Shows und Feuerwerke im Wahlkampf doppelt und dreifach wieder zurückbekommt, wenn er seine parlamentarische Arbeit möglichst effizient macht und das bedeutet in Ulaanbaatar, möglichst wenig Sitzungsaufwand und seine eigenen Projekte oder die an denen man prosperiert durchzubringen.   

Es gibt aber noch einen zweiten Grund, warum man in der Mongolei trotz Demokratie und Wahlen wohl noch lange Zeit immer die gleichen Politikergesichter im TV sehen wird, das ist der Wähler selbst. Leider ist die Bevölkerung an der Realpolitik nahezu gar nicht interessiert.  Es ist den Leuten auf der Straße eigentlich egal, welche Strategien die Parteien für die Lösung der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Probleme bereithalten, sofern sie es überhaupt tun. In der Regel werden von den Parteien sowieso nur allgemeine und pauschale Versprechungen gemacht, aber auch da überlegt der mongolische Wähler nicht lange, er findet das gut, was ihm persönlich scheinbar nutzt und ob Projekte überhaupt real sind darüber denkt er kaum nach. In der Regel wird dem Wähler einfach Geld versprochen, Bürgergeld, Kindergeld, höhere Mindestlöhne oder einfach eine Prämie für alle, wenn man den oder den wählt. Kommt dann der Wahltermin immer näher fährt mancher mongolische Wähler auf immer simplere Reize ab, der Kandidat hatte ein gutes Feuerwerk inszeniert oder eine bekannte Popband auf die Bühne gestellt oder kostenloses Feuerholz für die Jurte im Winter versprochen. So wählt man halt immer wieder die gleichen prominenten Leute. Man hat sogar das Gefühl, der mongolische Wähler verbindet seine Stimme generell lieber mit einem Sieger und gewinnt sozusagen mit dem als auf der Verliererseite zu stehen.

Wenn man die Frage stellt, wem nutzt diese mongolische Form der Demokratie am meisten, muss man ganz klar sagen, der kleinen vermögenden politischen Klasse in Ulaanbaatar selbst. Die kann ihre politische Macht dazu nutzen ihre wirtschaftlichen Möglichkeiten zu verbessern und sie kann im Gegenzug ihre wirtschaftliche Potenz wiederum einsetzen um die politische Macht zu sichern, dabei ist eigentlich gar nicht mehr wichtig welcher Partei man angehört, Hauptsache man sitzt im Parlament und mittlerweile arrangiert man sich immer ganz gut miteinander, ob Wahlverlierer oder Wahlsieger, das ist fast egal in Ulaanbaatar.     

Würde man eine Regelung finden, wonach Politiker nicht nach ihrem Vermögen, sondern nach ihren politischen Kompetenzen als Kandidaten in den Wahlkampf gehen könnten, hätte die mongolische Demokratie schon viel gewonnen.

Landflucht in der Mongolei

Mittwoch, November 16th, 2011

 510-grand-plaza.jpg

Immer mehr Mongolen ziehen das Stadtleben der Steppe vor

Als ich das erste mal 1985 die Mongolei besuchte, wohnten um die 500 000 Menschen in der Stadt Ulaanbaatar, heute sind es 1,2 Millionen. Die Gesamtbevölkerung lag damals bei etwas mehr als 2 Millionen, heute sind es etwa achthunderttausend mehr. Während die Gesamtbevölkerung also etwa 40 Prozent zugelegt hat, ist die Einwohnerzahl der Hauptstadt um 140 Prozent gewachsen. Hinter dieser Zahl steht eine Welle der Landflucht, die sich seit den 1990 er Jahren vollzieht und deren Geschwindigkeit zunimmt. Derzeit siedeln etwa 50 000 Menschen pro Jahr nach Ulaanbaatar um. Westliche Kommentatoren, insbesondere aus Kreisen von Entwicklungshilfeorganisationen, sehen die Ursachen hauptsächlich im wirtschaftlichen Bankrott von Viehzüchtern, die ihre Herden verloren haben. Diesen Fall gibt es sicherlich auch, er erklärt aber nicht die Größenordnung der Wanderungsbewegung. Es gibt auch mindestens drei Bevölkerungsgruppen aus denen sich der Zuzug zusammensetzt, das sind neben ganzen Viehzüchterfamilien, vor allem die Jugendlichen, die zur Ausbildung nach Ulaanbaatar gehen und dann dort bleiben. Eine dritte Gruppe sind ältere Leute, die am Ende ihres Lebens zu Kindern oder Verwandten in die Stadt übersiedeln. Während die letzten beiden Gruppen die Entscheidung eindeutig freiwillig treffen, gibt es bei den Viehzüchterfamilien sowohl den Fall, dass man aus wirtschaftlicher Not das Leben auf dem Lande aufgibt, es kann aber durchaus auch sein, dass man noch genügend Vieh besitzt um eine Existenz abzusichern, aber man dennoch die Herde verkauft und mit dem Geld versucht eine neue Existenz in der Stadt aufzubauen.

Oft wird die Situation im Westen so dargestellt, dass der Viehzüchter praktisch nie freiwillig sein Leben in der Steppe aufgibt, der Beobachter vor Ort weiß aber, dass das Stadtleben auf viele Viehzüchter eine starke Anziehung ausübt, nicht nur auf junge Leute, auch Frauen im mittleren Alter ziehen nicht selten ein Leben in der Stadt vor. Für viele ist aber die Existenz in der Stadt zu unsicher, als dass sie den Schritt gehen. Wären die Chancen auf gut bezahlte Arbeit in der Hauptstadt besser, sehe die Tendenz noch ganz anders aus.

Bis zur politischen Wende 1990 wurde der Zuzug vom Land nach Ulaanbaatar streng geregelt. Eine Wohnsitznahme in der Hauptstadt war mit hohen Hürden verbunden und nur wenige schafften den Sprung nach Ulaanbaatar, selbst als studierter Landbewohner landete man eher in einem Aimakzentrum. Hätte es die staatlichen Regelungen nicht gegeben, wäre die derzeitige Situation sicher schon in den 1990 er Jahren eingetreten.

Bis zur Wende hatten die Behörden versucht, den genehmigten Zuzug an den Bau von neuen Wohnungen und die Schaffung von Arbeitsplätzen zu koppeln.

Auch wenn es nicht der Wunsch so manchen Ethnofreundes ist, die Landbevölkerung in der Mongolei wird weiter rapide abnehmen. Eine moderne Industriegesellschaft kann einfach nicht für 30 Prozent der Bevölkerung Arbeit in der Landwirtschaft bereithalten. Geht man einmal von 10 Prozent aus, dann wären dass maximal dreihunderttausend Menschen insgesamt.

Die Vorteile, die eine moderne Großstadt bieten kann sind einfach auch für Landmongolen zu verlockend. Eine beheizte Wohnung wirkt bei Wintertemperaturen von unter minus 30 Grad für jeden der das mal erlebt hat, fast existenziell, fließendes Wasser, für einen Viehzüchter unerreichbar, oder die Möglichkeit in wenigen Minuten einen Notarzt zur Seite haben zu können.

Es gibt aber auch so ganz triviale Dinge wie den Fernsehempfang mit dutzenden Programmen oder ein Warenangebot das nahezu alles bietet. Entgegen vielen Thesen lieben es Mongolen auch unter Leuten zu sein und wochenlang in der Jurte nur die Familie um sich zu haben gefällt auch dort keinem wirklich.

Natürlich bedeutet für einen Übersiedler Ulaanbaatar nicht automatisch Wohnung, fließendes Wasser und Geld zum Shopping, aber man ist dem ganzen schon einen wesentlichen Schritt näher als 1000 Kilometer weiter in der Gobi. Am Anfang werden viele erstmal in einer der sogenannten Jurtensiedlungen landen, mit ihrer Jurte ein Stück Land in Anspruch nehmen. Wobei hier schon der erste Anreiz gesetzt ist, denn dieses Grundstück wird dann zum Privatbesitz und ist möglicherweise später sogar verkäuflich, draußen auf dem Lande hatte man das nicht, man konnte zwar Land nutzen, aber nicht besitzen. Der Mongole, auch der vom Lande, hat in der Regel auch kein so großes Problem mit der Stadt. Er ist anpassungsfähig, deutlich mehr als ein Deutscher oder Chinese. Er ist auch nicht unbedingt darauf erpicht in einer Jurte alt zu werden, eine Wohnung im Hochhaus lockt viele, es scheitert eher am Geld für die eigene Immobilie.