Archive for Dezember, 2011

Die Provinzstädte der Mongolei

Samstag, Dezember 24th, 2011

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Erdenet – Winter in der Provinz

Im letzten Beitrag hatte ich erklärt, dass es vor allem auch Ziel dieses Forum sei, die moderne, urbane Gesellschaft der Mongolei zu thematisieren, über das Leben der Viehzüchter wird ja ziemlich viel geschrieben und jeder hat da so seine Vorstellungen.

Wenn man das urbane Leben in der Mongolei beleuchtet, dann darf man sich aber nicht auf Ulaanbaatar beschränken, es gibt ja noch die Provinz oder Aimakstädte und über die weis man hierzulande fast gar nichts. Die Provinzstädte sind aber das eigentliche Bindeglied zwischen den Viehzüchtern in der Steppe und der Hauptstadt und es leben etwa eine dreiviertel Millionen Menschen in solchen Siedlungen. Eigentlich sollten diese Städte den wesentlichen Teil der Landflucht abfangen der heute direkt vom Lande in die Hauptstadt stattfindet. Die Bedeutung dieser Städte sollte auf alle Fälle gestärkt werden, dass wäre auf alle Fälle auch von Nutzen für die Hauptstadt, aber wie sieht es bisher in der Realität aus? Eher düster, wenn man sich mal so ein normales Aimakzentrum anschaut. In der Regel wohnen dort zwischen 20 und 40 Tausend Einwohner, aber die Infrastruktur reicht hinten und vorne nicht aus, so dass die Mehrheit der Bevölkerung in Jurten Siedlungen lebt. Hier fallen die Defizite zwar nicht so krass ins Auge wie in Ulaanbaatar, aber praktisch sind die nicht anders als in der Hauptstadt, hier akzeptiert man jedoch fehlende Wasserversorgung und unbefestigte Straßen eher als in der Millionenstadt. Unter den Provinzstädten gibt es zwei bis drei, die was ihre Größe und Urbanität betrifft deutlich herausfallen, das sind Erdenet, Darchan und vielleicht noch Tschoibalsan, den Rest kann man wohl in schlafende, von weitgehender Stagnation erfasste Siedlungen und sich entwickelnde Zentren unterteilen.

Was die drei großen betrifft, so hat man dort schon das Gefühl in einer Stadt im westlichen Sinne zu sein. Um die 100 000 Einwohner, ein Großteil davon wohnt in  Plattenbauten und ein wenig Industrie, dazu auch ein befestigtes Straßennetz und ordentliche Einkaufsmöglichkeiten. Am besten entwickelt ist das alles in Erdenet. Auf der etwa einen Kilometer langen Hauptstraße gibt es ein paar Hochhäuser, zwei richtige Warenhäuser und ein paar Restaurants, die auch ein Europäer freiwillig besuchen würde. Die Stadt ist eine Neugründung und verdankt ihre Entstehung der mongolisch-russischen Kupfermine. Der Bahnanschluss nach Ulaanbaatar ist akzeptabel und die Straße bis dorthin auch wenigstens in Asphalt.

In Darchan sieht es ähnlich aus, allerdings ist dort die Kaufkraft lange nicht so hoch wie bei den Minenangestellten von Erdenet, eine Industriestadt ist es aber dennoch und nicht so sehr in Abhängigkeit von dem einen Arbeitgeber wie Erdenet. In Tschoibalsan spielt die Industrie nur eine untergeordnete Rolle, demzufolge ist die Perspektive auch nicht so rosig.

Was die Zukunftsaussichten betrifft stehen einige von den übrigen Aimakzentren sogar besser da als die drei Großen. Dalanzadgad zum Beispiel hat drei Chancen einer positiven Entwicklung, das sind der Tourismus, das Kaschmire Geschäft und der Bergbau. Es sieht zwar heute noch nicht so toll aus im Ort, aber die Einwohnerzahl hat sich in 10 Jahren mehr als verdoppelt, es wird Geld verdient und man ist nahe dran an Oyu Tolgoi und Tawan Tolgoi. Es gibt heute schon ein kleines aber modernes Einkaufszentrum, man baut Eigentumswohnungen, ein sicheres Zeichen für kleinen Wohlstand und am Airport ist für mongolische Provinz Verhältnisse richtig Betrieb. Ein weiterer wirtschaftlicher Aufsteiger könnte Sainschand werden. Hier ist ein größerer Industriekomplex geplant. Mit seiner Lage an der Eisenbahn und in der Nähe der großen Kohlelagerstätten in der Gobi, keine schlechten Voraussetzungen.

Von der Bevölkerungszahl her entwickelt sich auch Murun ziemlich schnell nach oben, allerdings fehlt hier der große wirtschaftliche Initiator. Der Ort hat schon fast 50 000 Einwohner und eine wirklich schöne Umgebung, das Klima passt auch ganz gut und die Bevölkerung hier im Norden ist recht bodenständig und lebt schon länger in Siedlungen. Die wirtschaftliche Basis könnten hier eher Handwerk und kleine Betriebe bilden, also vielleicht die Schwaben der Mongolei. Hier hat man auch schon immer ein wenig mehr Wert auf das Ortsbild gelegt, als in den Wüstensiedlungen, viel gebracht hat es natürlich auch nicht, denn wie überall in der mongolischen Provinz fehlt den staatlichen Institutionen das Geld für Investitionen oder auch nur für die Sanierung der Erbschaften des Sozialismus. Ohne die sehe es in den Aimakstädten noch anders aus, denn nur bis 1990 wurden überhaupt größere Gebäude errichtet, dann passierte erstmal 15 Jahre überhaupt nichts.

Da diese Zentren alle etwa zur gleichen Zeit, in den 1970 er Jahren und mit ähnlicher Ausstattung errichtet wurden, sieht es auch immer fast gleich aus. Lediglich bei den wenigen in den letzten Jahren entstandenen Gebäuden gibt es eine gewisse Eigenständigkeit zu Erkennen. Das ist auch sicher einer der Gründe, warum sich kaum jemand mit seiner Provinzstadt identifiziert, oder gar stolz ist, das wiederum wäre aber wichtig, um die Leute wenigstens vor Ort zu halten. Manche Randgebiete eines Aimakzentrums sehen auch wirklich eher aus wie ein Notaufnahmelager nach einem Katastrophenereignis oder bestenfalls ein Feldlager. Während heute der Abstand zwischen einer deutschen Großstadt und Ulaanbaatar mehr und mehr schwindet, sind Vergleiche einer deutschen Kleinstadt mit einem mongolischen Provinzzentrum geradezu abstrus. Was in diesen Städten natürlich auch fast völlig fehlt sind Leute mit Kaufkraft, man kann sicher davon ausgehen, dass 99 Prozent der so genannten oberen Zehntausend der Mongolei in Ulaanbaatar leben, ein paar gibt es noch in Erdenet, aber der wohlhabendste Bürger von Mandalgobi dürfte in UB wohl kaum in einem Mittelstandsclub Aufnahme finden.                                                    

Zum Blog in eigener Sache

Samstag, Dezember 3rd, 2011

Mal was in eigener Sache zu unserem Blog. Damit das ganze richtig lebendig wird ist es natürlich schön, wenn zu den einzelnen Beiträgen auch ein paar Meinungen oder Ergänzungen ins Spiel kommen. Nutzt also bitte die Möglichkeit, nicht nur zu lesen, sondern auch selbst kleine Beiträge zu den Themen zu verfassen. Es ist natürlich auch wichtig, dass möglichst viele Leser den Blog regelmäßig besuchen, dann entwickelt sich einfach auch mehr Diskussion, also den Link zum Blog weitergeben und wenn die Resonanz deutlich ist, dann werden auch häufiger neue Themen eingestellt.

Wir haben mit dem Blog eine gute Möglichkeit vielen Deutschen etwas über die Mongolei mitzuteilen, was über das übliche, – Nomade, Jurte, Dschingis Khan Enkel – Klischee hinausgeht.   

Wir wollen vor allem auch über die moderne Mongolei berichten, über Perspektiven, über das was in Ulaanbaatar passiert und das diese Stadt nicht unbedingt der hässlichste Ort der Welt ist, wie heute noch viele Mongoleireisende am Rande ihrer romantischen Berichte vom Steppenleben glauben mitteilen zu müssen. 

 

Legenden um das mongolische Nomadenleben

Donnerstag, Dezember 1st, 2011

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Jurte in den Hochlagen des Changai

Um den mongolischen Nomaden und seine Lebensweise ranken sich in Europa zahlreiche Legenden und man pflegt auch beharrlich Mythen. Selbst Journalisten schreiben nicht selten, eben erst bei dem Kanzlerinnenbesuch konnte man das beobachten, Dinge, die aus ihrer Vorstellung entspringen, aber weniger der Recherche oder gar eigener Anschauung.

Allen voran steht die Vorstellung der umherziehenden, nichtsesshaften Sippe, die heute hier, morgen da ihre Jurte aufschlägt. Die Realität sieht deutlich anders aus. Jeder Viehzüchter in der Mongolei hat bestimmte Weidegebiete, die er nutzen darf. Je nach Vegetation sind diese Weidegründe, in denen er sein Vieh weidet größer oder kleinräumiger. Im Norden, bei genügend Grün und Zugang zu Wasser kann es sein, dass die Herde wochenlang an der gleichen Stelle genügend Futter findet, dann bleibt natürlich auch die Jurte dort stehen. Was man aber immer antrifft, ist ein spezieller geschützter Lagerplatz für den Winter und ein Sommerlager. Was dazwischen passiert ist sehr unterschiedlich, in trockenen Regionen können das 5 bis 10 unterschiedliche Standorte sein, wenns günstiger ist auch nur einer oder zwei. Auch ist der Aktionsradius recht unterschiedlich, von drei, vier Kilometern bis vielleicht 50, aber immer wird der Viehzüchter die Orte aufsuchen, wo er schon immer seine Jurte aufgebaut hat. Ein Viehzüchter in der Gebirgswaldsteppe des Changai oder im Norden des Landes wird also kaum größere Wanderungen unternehmen, sein Standort ist auch ziemlich genau bekannt, die Verwaltung und auch die Nachbarn wissen natürlich wo er ist, er hat auch sozusagen eine amtliche Adresse, natürlich nicht mit Straßennamen und Hausnummer, aber der Kreis und die Gegend wo er lebt sind bekannt. Er ist dort registriert, hat einen Pass und alle Rechte und Pflichten wie ein Bürger in der Hauptstadt. Ich habe Familien getroffen, die wohnten im Sommer am Seeufer und als ich nach dem Winterlager fragte, zeigten sie auf eine Holzhütte am nahen Bergfuß, hier waren sie geboren und hier würden sie vermutlich auch bis zum Lebensende bleiben. Die meisten Deutschen sind mehr Nomade als diese Leute.

Eine weitere Legende sind die Großfamilien oder gar Clans, die in den Köpfen der Menschen hierzulande die Steppe bevölkern. Ein Ail, also die kleinste Einheit der Viehzüchter kann aus einer manchmal zwei oder drei, aber kaum mehr Jurten bestehen. Es sind in der Regel, die Eltern mit den kleineren Kindern, eventuell noch die Großeltern, die da zusammenwohnen. Sollten sich mehr als zwei Jurten zusammenfinden ist oft eher eine fremde Familie dabei, als direkte Verwandte. Auch wenn eine Viehzüchterin fünf oder sechs Kinder hat, es ist nicht sehr wahrscheinlich, dass die dann, einmal erwachsen, auch alle zusammen wohnen. Es gibt auch keinen sonderlich festen Zusammenhalt innerhalb der Verwandtschaft, insbesondere keine wirtschaftlichen Verknüpfungen, jeder macht eigentlich sein Ding. Das merkt man dann auch deutlich in der Stadtbevölkerung, ist jemand zu Vermögen gekommen und hat eine Firma oder sonst wie Macht und Einfluss, dann wird er sich eher einen verlässlichen Geschäftspartner suchen, als beispielweise die Geschwister oder gar noch entferntere Verwandte mit ins Boot zu nehmen.                

Die wohl unwahrste Vorstellung ist die von einem mächtigen männlichen Familienoberhaupt, der die Geschicke in der Jurte bestimmt. Die Frauen haben in der Jurte eindeutig das Sagen. Sie verwalten das Geld und Treffen die wichtigen Entscheidungen. Dem Gast wird in der Jurte zwar eine Vorstellung geboten, bei der die Frau den Mann bedient und der Anschein erweckt wird es handelte sich um eine absolute Autorität, aber das kann man getrost als Inszenierung betrachten, der Mann hat seine Freiheiten und kleine Privilegien, aber zu sagen hat er eigentlich nicht viel.       

Der mongolische Viehzüchter ist auch kein zivilisationsverachtender Weltfremdling. Nahezu alle Viehzüchter haben in ihrer Kindheit mal eine Schule in einer Siedlung besucht, oft dann auch in einem Internat gelebt. Sie sehen für ihr Leben gern TV, sofern der Empfang das hergibt und träumen alle davon ein Auto zu besitzen, zumindest die Männer. Sehr selten ist es auch der in der westlichen Vorstellung lebende Naturmensch, dem der Einklang mit derselben über alles geht. Er versucht natürlich traditionell die Ressourcen so nutzen, dass er sich nicht selbst die Existenz abgräbt, aber das wars oft auch schon. Der Müll fliegt in die Landschaft, Hauptsache man stolpert nicht selbst drüber, wenn Kaschmirwolle hoch im Kurs steht, dann werden eben wider besseren Wissens Ziegen statt Schafe gehalten und wenn ein paar Bäume in der Nähe sind, dann kommen die in den Ofen anstatt traditionell der Dung, das macht schneller warm und ist einfacher zu sammeln.

Nun haben meine Ausführungen vielleicht den einen oder anderen der bald mal in die Mongolei fahren wollte desillusioniert, aber es ist trotzdem interessant mal in einer Jurte vorbeizuschauen und mit den Leuten reden, gerade weil sie eben doch so unexotisch sind.  Man trifft in der Regel ganz coole Leute, die es schaffen unter extremsten Bedingungen zu leben, bei denen jeder deutsche Aussteiger nach ein paar Tagen alles hinschmeißen würde.